Mein Handicap - spinale Muskelatrophie (SMA)

Personen aus meinem näheren Umfeld wissen natürlich um meine Situation. Als öffentliche Person ‚kennen‘ mich aber auch viele, die jedoch insbesondere meine gesundheitliche Situation, von meinem krankheitsbedingten Handicap und den daraus resultierenden Schwierigkeiten und Lebensumständen eben solch‘ Privates nicht oder nur wage wissen.
Deshalb möchte ich einmal die Krankheit, von der ich betroffen bin und was die Symptome ganz konkret und authentisch für mich bedeuten, hier etwas erklären:
Spinale Muskelatrophien sind Erbkrankheiten, bei denen sich Nervenzellen im Rückenmark und Hirnstamm zurückbilden, wodurch eine fortschreitende Muskelschwäche und ein Muskelschwund ausgelöst werden.
Die Krankheit wird gewöhnlich autosomal-rezessiv (unabhängig vom Geschlecht) vererbt. Es sind also zwei Gene notwendig, d. h. eines von jedem Elternteil. Diese Störungen können das Gehirn und das Rückenmark (zentrales Nervensystem) sowie die peripheren Nerven betreffen.
Es gibt 5 Haupttypen der spinalen Muskelatrophie, die nach Schweregrad der Muskelschwäche und des Muskelschwunds eingeteilt werden. Eine Heilung ist nicht möglich, Physiotherapie und der Einsatz von Hilfsmitteln und/oder Medikamenten können jedoch helfen. Die Symptome der ersten 4 Typen der spinalen Muskelatrophie treten im Säuglings- und Kindesalter auf.
Spinale Muskelatrophie Typ 0 – die schwerste Form – wirkt sich bereits vor der Geburt auf den Fötus aus. Der Fötus bewegt sich während der Spätschwangerschaft nicht wie erwartet. Nach der Geburt weist das Baby eine ausgeprägte Schwäche und fehlende Muskelspannung auf. Die Reflexe fehlen und die Beweglichkeit der Gelenke ist eingeschränkt. Beide Gesichtshälften sind gelähmt. Es liegen außerdem angeborene Fehlbildungen des Herzens vor. Die Muskeln, welche die Atmung kontrollieren, sind sehr schwach. Säuglinge sterben oft innerhalb der ersten Monate, weil sie nicht richtig atmen können, was zu einer respiratorischen Insuffizienz führt.
Bei Typ I (infantile spinale Muskelatrophie oder Werdnig-Hoffmann-Krankheit) macht sich die Muskelschwäche oft bereits bei oder wenige Tage nach der Geburt bemerkbar. Sie führt praktisch immer in den ersten 6 Monaten zu Symptomen. Säuglinge weisen schlaffen Muskeltonus und Reflexverlust auf, sodass sie Schwierigkeiten beim Saugen, Schlucken und letztendlich beim Atmen haben. 95 Prozent der Kinder sterben bereits im ersten und spätestens im vierten Lebensjahr, meist aufgrund einer respiratorischen Insuffizienz.
Bei Typ II (intermediäre Form oder Dubowitz-Syndrom) manifestiert sich die Muskelschwäche typischerweise zwischen dem 3. und 15. Lebensmonat. Weniger als ein Viertel der betroffenen Kinder lernt zu sitzen. Sie können nie krabbeln oder gehen. Reflexe fehlen vollständig. Es kommt zu Muskelschwäche und Störung der Schluckmuskulatur. Im Alter von zwei bis drei Jahren sind die meisten Kinder auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Lebenserwartung ist beim frühen Kindesalter meistens aufgrund einer respiratorischen Insuffizienz eingeschränkt. Einige Kinder überleben; sie weisen jedoch eine ständige Schwäche auf, die nicht mehr fortschreitet. Diese Kinder leiden oft an einer schweren Wirbelsäulenkrümmung (Skoliose).
(Ich): Typ III (juvenile Form oder Wohlfart-Kugelberg-Welander-Syndrom) beginnt zwischen dem 15. Lebensmonat und dem 19. Lebensjahr und schreitet langsam voran. Daher ist die Lebenserwartung höher als bei der spinalen Muskelatrophie Typ 1 oder 2. Einige Betroffene führen sogar ein ganz normales Leben. Muskelschwäche und -schwund beginnen in den Hüften und Oberschenkeln und dehnen sich später auch auf die Arme, die Füße und die Hände aus. Wie lange die Betroffenen leben, hängt davon ab, ob Atemprobleme auftreten.
Typ IV tritt zum ersten Mal im Erwachsenenalter, meistens im Alter von 30 bis 60 Jahren auf. Es kommt langsam zu Muskelschwäche und -schwund, vorwiegend in den Hüften, Oberschenkeln und Schultern.
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Texte (auszugsweise) von: Michael Rubin – MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
überprüft/überarbeitet von: Michael C. Levin – MD, College of Medicine, University of Saskatchewan
März 2024 | Quelle
Zusammengefasste Kurz-Erklärung in einfachen Worten:
Ein Gen ist defekt. Die Nerven-Informationskette an die Muskeln, sie sollen aktiv werden, ist unterbrochen, die Information kommt nicht an. Somit ‚wissen‘ die Muskeln nicht, dass sie etwas tun sollen. Die Muskeln werden nicht genutzt und was nicht genutzt wird, wird ‘entsorgt‘. Sie bilden sich zurück und was erst einmal weg ist, ist nicht wieder herzustellen.
Das bedeutet für mich konkret, meine individuelle Situation:
Beginn mit ca. 13/14/15 Jahren
Bis Alter ca 45J. relativ ‘normaler‘ Alltag mit Einschränkungen, seitdem deutlichere fortschreitende Verschlechterung in unterschiedlichen Tempos –> wenig Kraft, auch Arme, aber insbesondere Oberschenkel / Hüftbeuger / untere Rückenmuskulatur / Körpertragfähigkeit / Gesamtstabilität. Prognose ungewiss.
Aktueller Stand:
Allgmein: Freiberuflicher Künstler. Wohnen/leben/arbeiten in Fachwerkhaus (nur noch EG für mich nutzbar) mit Garten zur Miete. Single, alleinlebend. Für Notfälle oder auch nur zur kurzen Hilfe für manch‘ vermeintliche Kleinigkeiten niemand aus direktem sozialen Umfeld in ganz unmittelbarer Nähe. Private Helfer selten, für Alltäglichkeiten ständig Dienstleister per Bezahlung zu buchen. Notruf-Knopf tragend. Mental/psychisch stabil, recht ‚gut drauf‘.
Alltag: Permanent sturzgefährdet (durch einen evtl. unaufmerksamen Schritt ggf. unverhofft strauchelnd). Aufrichten aus der Hocke oder Aufstehen vom Boden allein nicht mehr möglich (Rettungsdienst/Helfer sind dann zu rufen, die mich ‚aufheben’/wieder auf die Füße stellen müssen). Außerdem: Sturz-Risiko = Verletzungsgefahr.
(Eher wenige) vorsichtige, langsame Schritte, fast nur noch per Festhalten (Begleitperson, Hilfsmittel [Stock, mobile Gehhilfe,…]) Treppen, Stufen, Absätze kaum noch überwindbar, wenn dann nur an Geländern o.ä. mit maximaler Kraftanstrengung hochziehend. Steigungen oder/und unebenes Gelände schwierig.
Aufstehen von normaler Sitzhöhe nur mit Hilfe und unter Anstrengung, eigenständig nicht mehr möglich. Erhöhte Sitzflächen notwendig, alternativ ggf. Bankmöbel, Aufstehen dann mühseliges ‘hochhangeln‘. Normalhohe WC’s nicht mehr nutzbar (nur noch mit erhöhenden Sitzauflagen oder ohne Hose stehend). Duschen frei stehend sehr anstrengend/schwierig. Umdrehen und Aufrichten im Bett nur noch mit allergrößter Anstrengung möglich.
Einkauf/Besorgungen allein schwierig. Hose mühsam sitzend anziehen, Socken dito. Alle Fußwege-Entfernungen sehr begrenzte ca. 10 bis …200(?) mögliche Meter. Gang instabil/unsicher/wackelig. Keine Veranstaltung, Ausflug, Spaziergang, etc. ohne Begleitung (somit sehr selten, da nur selten jemand bereit dazu). Garten/Scheune allein nicht mehr erreichbar, Schritte zur Mülltonne mitunter schwierig. Tragen von Gegenständen vorrangig nur einhändig (andere Hand zum Festhalten).
Meine drei selbstgestellten ‘Aufgaben‘:
- Akzeptanz der Situation, ‚Normalität‘ leben trotz permanent unterschwelliger Präsenz „…halt‘ Dich fest – geh‘ langsam – pass auf, wohin Du trittst – stürze nicht!…“. Aktiv / mobil / in Bewegung bleiben, nicht zu bequem machen, externes und eigenes Physiotraining (was Selbst-Disziplin erfordert, die mir schwer fällt), Symptome-Stand möglichst lange erhalten, um noch möglichst lange das Tagesgeschehen weitestgehend eigenständig/unabhängig absolvieren zu können.
- Momentane Lebenssituation (dienstl.+privat) sinnvoll/effizient einrichten (Möbel, Einrichtung, Hilfe-Leute, Arbeitsbereiche, Freizeitaktivitäten…)
- Geldeinnahmen generieren (Ersparnisse werden irgendwann aufgebraucht sein, das zukünftige Leben wird teuer werden (Wohn- und Arbeitssituation, Betreuungspersonal, Hilfsmittel, etc.,…), Rentengelder und Finanzierungen der Kranken-/Pflegekassen werden nicht reichen für ein halbwegs angenehmes Leben.
Mindset/Stimmung/Denke:
Jede Aktivität, jede Bewegung, jede Tätigkeit ist immer auch Training. Es geht ja noch so Manches, auch wenn es mal anstrengend und einfach doof ist. Und was nicht mehr geht, ist halt so wie’s ist. Manch‘ liebe Menschen helfen mir ja auch. Nichts zu tun, alles Schwierige zu vermeiden, darf keine Option sein. Alles wird beschwerlicher und umständlicher, ja. Aber es könnte alles viel schlimmer und noch schwieriger sein und das wird es irgendwann auch werden. Aber JETZT ist es ja noch nicht so! Ich steh‘ noch auf den Füßen. Also in meiner individuellen ‚Normalität‘ in meinem Tempo mit stabiler Laune und anhaltender Zuversicht WEITERMACHEN!





